Unterwegs im wilden Osten

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Ja liebe Stammtischler,

wir haben es wirklich gewagt und sind in den wilden Osten Deutschlands vorgedrungen – und es hat sich gelohnt. Wir haben viele wundersame Dinge zu berichten.

Wäre da Punkt 1: das immer wieder verblüffende Berlin. Wir haben zwar nur vor einigen Tagen einige Tage hier verbracht, und verbringen nun nochmal einige Tage hier, aber diese wenigen Tage haben gereicht um schon ein Füllhorn an Erlebnissen hier auszuschütten. So sind uns an einem einzigen Tag folgende Menschengattungen begegnet: Zombies bei einer Demonstration am Brandenburger Tor, Piraten beim Abendessen an den Hackeschen Höfen, Hoola-Hoop Tänzerinnen mit einer spontanen Aufführung ihrer Künste und riesige Punkerhorden in Ihrer natürlichen Umgebung am Alexanderplatz. Gerade die Punkerhorden haben uns einige Tränen der Rührung in die Augenwinkel getrieben – gibt es doch in München nahezu keinerlei Punker mehr. Und wenn es welche gibt, dann nur noch Wochenend-Punker mit Bügelfalte in den – neu gekauften – zerissenen Designerhosen. Und außerdem hat man ja in München leider keinerlei natürliche Biotope mehr für Punker – der Sendlinger Tor Platz wurde ja leider von Punkern gereinigt. Es soll nur noch ein paar versprengte Punker in Thalkirchen geben, wobei der letzte vermutlich in unserer Abwesenheit von den Gruftis unter der Thalkirchner Brücke aufgefressen und gegrillt worden ist.

Soviel zu Berlin. Weiter im Text zum wilden Osten.

Man hatte uns ja vorgewarnt: entvölkerte Städte, abbruchreife Ruinen, alles voller Sachsen, aber auch mannigfaltige, unberührte Natur. Und was sollen wir sagen: es stimmt alles bis auf die Sachsen. Die Sachsen wohnen nämlich in Sachsen und nicht in Mecklenburg-Vorpommern – wie der Name schon sagt. Hätte man eigentlich durch Nachdenken selber drauf kommen können. A propos Sprache: Mecklenburg spricht man übrigens „Meeehklenburg“ aus, also mit langem „e“ und nicht wie man meinen könnte mit „Meck“ wie z.B. McDonalds.

Wenn wir gerade schon bei McDonalds sind – was nicht ganz stimmt, weil ich diese Zeilen bei Dunkin Donuts in die Tastatur hackere. McDonalds ist hier zwar bekannt, aber nicht weit verbreitet. Was hier weit verbreitet ist, ist folgender Aufbau von Kleinstädten: zwei Plattenbauten am Ortseingang, eine Ortsdurchfahrt (deutlich geräumiger als in unserern oberbayerischen Kleinstädten – ist ja klar, man hat auch mehr Platz hier), dann ein Döner-Imbiss gefolgt von einem Asia-Imbiss, dann das Ende des Ortes und kurz vor dem Ortsausgang noch ein Lidl. Die Menschen befinden sich dabei immer innerhalb der Häuser – nie draussen auf der Straße. Das ist ortsunüblich. Wir haben dieses Schema mehrfach verifiziert – zuletzt gestern. In unserem Ort konnten bei ca. 50 Häusern um 19:30 Uhr Abends keinerlei Menschen auf der Straße oder in den Gärten antreffen, obwohl nachweislich mindestens zwei Personen im Ort anwesend waren (einer grillte und der andere sah fern). Noch eine Anmerkung zum Thema Anwesenheit im Ort: als Einwohner ist man häufig auch komplett abwesend, d.h. man befindet sich außerhalb des Ortes. Das macht ein geschätztes Drittel der Einwohner so. Manche der Einwohner markieren vor dem Verlassen ihres Hauses noch die Tür mit einem Schild. Aufschrift: „Zu vermieten“ oder „Zu verkaufen“. Andere Einwohner gehen einfach und die Natur markiert diese Häuser durch nicht mehr vorhandene Dachziegel, kackbraune Fassaden, zerbrochene Fenster oder kleinen Birkenwäldchen in den Dachrinnen.

Ach Gott, die Zeit verrennt! Dann fasse ich mich kurz und bringe nur noch unsere Demut über die hier noch vorhandene Natur zum Ausdruck. Man hat mir als Kind ja oft vom Klapperstorch erzählt, aber ich hatte den geistig in der Kategorie „Märchen und Mythen“ einsortiert. Doch was soll ich sagen: es gibt ihn wirklich. Hier im wilden Osten marschiert der Weißstorch ganz selbstverständlich über die Wiesen und läßt sich die Frösche munden. Daneben stehen dann der Kranich und der Fischreiher und schauen ein bisserl in die Landschaft während oben drüber der Fischadler kreist. Und weil nur ein Adler ein bisserl wenig ist, drum gibts hier auch noch den Seeadler und ungefähr 300 andere Vogelarten – ein niederländischer Ornitologe hat versucht uns Wissen zu nur einigen der geflügelten Gesellen zu vermitteln, wir waren aber einfach zu unbewandert in diesem Gebiet. Hängen geblieben ist bei mir nur die Goldamme und die Feldlärche. Die Feldlärche konnten übrigens einige der Stammtischler bei einer Radltour bewundern. Robert machte darauf aufmerksam, aber keiner der anwesenden anderen Stammtischler war in der Lage das Tier a) zu sehen oder gar b) zu hören. Armes Restdeutschland – so wenig Ahnung haben wir von Ornithologie. Schande über uns.

So, wir begeben uns jetzt in ein Fischlokal um etwas Nahrhaftes zu uns zu nehmen. Ich könnte hier noch anfangen über Fisch zu philosophieren, aber das ist ja wieder eines dieser Wissensgebiete, über die in Süddeutschland niemand etwas weiß. Für uns gibt’s halt nur eine Fischsemmel am Viktualienmarkt – was der Unterschied zwischen Matjes, Hering, Rollmops oder Bismarck-Hering ist, weiß doch kein bayerischer Mensch. Ist vermutlich auch nicht so wichtig, weil zum Bier eine Brezn mit Obatztem und ohne Fisch halt viel besser schmeckt.

Den Rest über die Getreidefelsen (oder so ähnlich), Industrieruinen und Atombunker erzählen wir Euch dann besser persönlich.

Viele Grüße

Robert und Illi

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