Archive for September, 2020

Corona Exil 2020 (5) – Reintegration

Dienstag, September 29th, 2020

Ich hatte einen Corona-Alptraum: München reißt am 19.9.2020 den Corona-Grenzwert von 50 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner. Die bayerische Staatsregierung reagiert mit einem drastischen Beschluss: Münchner müssen ins Exil in den Ruhrpott. Ein haarsträubender Schicksalsbericht.

Während wir in die Endphase unserer Ruhrpott-Integration einschwenken, schwankt man in Bayern wohl bezüglich der Corona-Maßnahmen. Anders ausgedrückt: man eiert herum.

Unsere Ernährung haben wir nun vollständig auf Spezialitäten wie Currywurst und Pommes umgestellt. Beim mangelnden Brezensalz nörgeln wir dagegen weiterhin herum.

Auch sprachlich haben wir uns weitestgehend angepasst. Statt „Breznsalzer“ sagen wir jetzt „Kackstelze“ oder „Gesichtskasper“. Auch die Grammatik haben wir verinnerlicht. Auf Fragen wie „Warum sind Sie hier im Ruhrgebiet?“ antworten wir zum Beispiel „Das ist weil wegen infektiös.“, weshalb man uns immer öfter für Einheimische, oder zumindest für Polen hält (also quasi-einheimisch).

Gerüchtehalber droht uns nun die Rückführung nach Bayern mit Reintegration. Man munkelt, dass der bayerische Ministerpräsident den Reimport von Bevölkerung aus Bundesländern mit niedriger Inzidenz erwägt. Da unser aktueller Wohnort derzeit eine 7-Tage-Inzidenz von nur 22 vorweisen kann, sind wir damit exzellente Kandidaten für die Rückführung.

Aber bevor wir zurückkehren müssen wir noch alles gesehen haben, was der Ruhrpottmensch für charakteristisch für die Region hält. Was das wäre, kann man am Sitzbezug in der S-Bahn sehen:
Fußball, Wellen, Bremsspuren, dreiblättrige Kleeblätter, Fabriken, Morgensterne, Elefanten, Herzen und drei Kackhaufen.

Alle Ruhrpott-Sehenswürdigkeiten auf dem S-Bahn Sitzbezug

Unsere Bilanz:
Fußball: check! Spielende Kinder in der Essener Fußgängerzone
Wellen: check! Duisburger Nordhafen
Fabriken: check! Zeche, Kokerei, Hütte
Morgenstern: check! Krupp (also Waffen)
Elefanten: check! Duisburger Nordhafen (da gibt’s alles)
Drei Kackhaufen: check! (siehe Elefant)

Fehlt noch Bremsspur, Kleeblätter und Herzen.
So nehmen wir uns ein Herz, hauen beim Fahrradfahren die Bremse rein, und fahren zurück ins schöne Bayernland, denn da sind die Wiesen grüner, der Klee ist fetter, und die Brezn haben noch ordentlich Salz drauf.

München, wir kommen!

Corona Exil 2020 (4) – Erkenntnisse

Freitag, September 25th, 2020

Ich hatte einen Corona-Alptraum: München reißt am 19.9.2020 den Corona-Grenzwert von 50 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner. Die bayerische Staatsregierung reagiert mit einem drastischen Beschluss: Münchner müssen ins Exil in den Ruhrpott. Ein haarsträubender Schicksalsbericht.

Nordhafen Duisburg: Bild mit ohne Hafen, dafür mit allerhand Zeug (Kies, Bretter, Gitter, Steine, Rohre, Gullideckel, Schilder) und dahinter ein Klotz verrostetes Fabrik-Gedöns.

Während man in München langsam die Nerven verliert (in der Innenstadt müssen jetzt sogar schon im Freien Masken getragen werden), gewinnen wir nach einigen Tagen des Einlebens immer mehr Erkenntnisse über den Ruhrpott.

Nach einer Radtour durch den Duisburger Nordhafen, haben wir jetzt auch verstanden, welche Bedeutung das Ruhrgebiet vermutlich für Deutschland hat. Fährt man durch den Nordhafen, so fällt einem unglaublich viel Zeug auf. Hier gibt es Kies, Schrott, Bretter, Container, Kabel, Autos, Steinbrocken, LKWs, Bagger, Kräne, Schiffe, Plastik, Metall, Kohle, Gleise, Schleusen, Gitter, Öltanks, Schutt, Rohre, Kabelrollen, Teer, und allerhand anderes Zeug.

Bemerkenswert erscheint uns, dass es im Hafengebiet fast keinerlei Menschen zu sehen, gibt. Insbesondere gibt es auch niemand, der all das Zeug da hinbringt, oder es von dort wieder wegbringt. Daraus schlussfolgern wir, dass der Duisburger Nordhafen ein Endlager für Zeug zu sein scheint. Das ist gut. Würde man das Zeug nicht hier lagern, so müsste man es in Restdeutschland lagern, so dass alle unter all dem herumstehenden Zeug zu leiden hätten.

A propos Zeug: auch ins Essen tut man hier allerhand Zeug rein. So gibt es hier Fast Food Virtuosen, die sich auf die Neuinterpretation von Pommes und Currywurst spezialisiert haben. Bei Pommes Pervers bekommt man zum Beispiel die Pommes „Otto Rehakles Zeus Edition“ mit Feta, Gurken, Tomaten, Oliven, Zaziki und Hähnchenspießen. Pommes mit so viel Zeug drin, hat man in seinem Leben noch nicht gesehen.

Pommes „Otto Rehakles Zeus Edition“ und Pommes „Pottsau“

Der Autor dieser Zeilen, muss sich jetzt ein wenig hinlegen, um sich von dieser üppigen Mahlzeit zu erholen.

Hier geht es weiter mit Teil 5.

Corona Exil 2020 (3) – Integration

Montag, September 21st, 2020

Ich hatte einen Corona-Alptraum: München reißt am 19.9.2020 den Corona-Grenzwert von 50 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner. Die bayerische Staatsregierung reagiert mit einem drastischen Beschluss: Münchner müssen ins Exil in den Ruhrpott. Ein haarsträubender Schicksalsbericht.

Am Tag 1 werden wir eindringlich darauf hingewiesen, dass wir uns integrieren sollten, wenn wir hier im Ruhrgebiet klarkommen wollen. O-Ton: „Dat ist weil wegen harmonisch.“. Dass es beim Thema Integration noch eine Menge für uns zu lernen gibt, bemerken wir bereits beim Frühstück. Leberkäse: Fehlanzeige. Semmeln: existieren nicht – man bietet uns als Ersatz sogenannte „Brötchen“ an. Brezn: nennt man hier Brezeln, doch was wir vermissen ist Brezensalz in ausreichender Menge.

Brezel mit erheblichem Salz-Defizit
und unnatürlichem Glanz

Zunächst machen wir zwecks Integration einen Crashkurs zum Thema Ruhrgebiet: in der Zeche Zollverein vermittelt man uns die industrielle Geschichte des Ruhrgebiets, sowie alle Grundlagen über Bergbau, Kohle, Koks und Stahl. Dabei erfahren wir, dass bei der Herstellung von Koks auch Salze als Nebenprodukt entstehen.

Kokerei der Zeche Zollverein: hier entsteht Salz, aber leider zu wenig als für Brezeln benötigt.

Jetzt wird uns einiges klar: wir kennen in Bayern nur den Bergbau zur Salzgewinnung. Salz brauchen wir in Bayern überwiegend für Breznsalz, daher muss es in Unmengen gefördert werden. Im Ruhrpott hat man dagegen anderer Prioritäten. Man konzentriert sich auf Koks als Haupt- und Salz als Nebenprodukt. Damit ist es kein Wunder, wenn für die Ruhrpott-Brezeln nicht genügend Salz übrigbleibt.

So hat bereits der erste Tag viel Erkenntnisgewinn gebracht.

Hier geht es weiter zu Teil 4

Corona Exil 2020 (1) – Einleitung

Sonntag, September 20th, 2020

Ich hatte einen Corona-Alptraum, doch auch nach dem Aufwachen fühlt er sich irgendwie real an: München reißt am 19.9.2020 den Corona-Grenzwert von 50 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner. Kurz darauf reagiert die bayerische Staatsregierung mit einem drastischen Beschluss: manche Münchner müssen ins Exil. Die Bayerische Staatsregierung fordert uns zur sofortigen Ausreise auf. Unser Ziel: der Ruhrpott, denn dort sind die Infektionszahlen angeblich noch niedrig.

Dies ist eine Corona-Dystopie, die vielleicht schon bald wahr werden könnte: zwei Münchner im Exil im Ruhrpott. Ein haarsträubender Schicksalsbericht.

Am Bahnhof auf dem Weg ins Exil

Samstag, 19.9.2020 6:00 Uhr morgens: jemand klingelt Sturm. Ich quäle mich aus dem Bett und öffne die Tür. Ein Mensch in Vollschutzanzug hält mir ein Blatt Papier vor’s Gesicht. Hinter ihm zwei Polizisten mit Maske.

Herr M aus M?
Ja
Das Gesundheitsamt München fordert Sie im Namen der Bayerischen Staatsregierung auf, die Landeshauptstadt München zu verlassen. Gefahr in Verzug. Sie müssen sich spätestens Morgen Vormittag beim Gesundheitsamt Essen melden.
Was bitte? Da muss eine Verwechslung …
Nein, da liegt keine Verwechslung vor. Sie sind hiermit informiert. Wenn Sie der Anordnung nicht folge leisten, werden Sie mit einer Ordnungsstrafe von 5000 Euro belegt. Auf wiedersehen.

Sprach’s, drehte sich um, und verließ das Haus zusammen mit den Polizisten. Ich überfliege den Zettel, den man mir in die Hand gedrückt hat. Anordnung durch das Gesundheitsamt: Corona-Sicherheits-Exil. Entsendung in Niedrig-Risikogebiet. Zeitlich vorläufig nicht befristet. Zielort: Essen. Meldung in Essen morgen.

Essen? Wo ist Essen? Ich recherchiere kurz bei Google Maps. Ruhrgebiet – ach du Scheiße! Ich prüfe bei muenchen.de, ob diese Anordnung echt sein kann. Tatsache – es stimmt. Herrgottsakrament!

In aller Eile packen wir den Samstag über unsere Koffer, erledigen noch ein paar Einkäufe und informieren unser Umfeld. Keiner glaubt uns, aber es ist wahr. Einen Tag später stehen wir in aller Frühe am Münchner Hauptbahnhof und steigen in den Zug nach Essen.

Hier geht es weiter zu Teil 2.

Corona Exil 2020 (2) – Ankunft

Sonntag, September 20th, 2020

Ich hatte einen Corona-Alptraum: München reißt am 19.9.2020 den Corona-Grenzwert von 50 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner. Die bayerische Staatsregierung reagiert mit einem drastischen Beschluss: Münchner müssen ins Exil in den Ruhrpott. Ein haarsträubender Schicksalsbericht.

Am Hbf Essen angekommen, stellen wir fest, dass wir nicht die
einzigen Exil-Bayern sind. Die Mitarbeiter des Gesundheitsamts Essen
sammeln die eintreffenden Exilanten am Bahnsteig ab, und leiten sie
in einen abgesperrten Bereich auf dem Bahnhofsplatz.

Eingezäunter Sammelplatz für bayrische Exilbürger


Massive Holzverschläge schirmen die Exilanten von der Bevölkerung ab. Man hat jedoch bei der Sicherheitszone offensichtlich bemüht, eine bayrische Anmutung zu erzielen. Hinter dem Bauzaun spult man routiniert den medizinischen Check ab: die Personalien muss man beim Tombolaverkäufer abgeben, das Fieber wird am Glühweistand gemessen, den PCR-Test macht man beim der Zuckerwatte-Stand und die Befragung nach Symptomen und Anamnese erfolgt an der Würstelbude.

Symptomfreie Einreisende wie wir dürfen den Einreisebereich durch den
Ausgang „Sammellager“ verlassen. Am Ausgang erklärt man uns, dass die
Container leider derzeit noch nicht bereitstehen, und wir daher vorübergehend in einem Hotel untergebracht werden sollen. Wir sind einigermaßen erleichtert.

Das Hotel direkt in der Fußgängerzone betreten wir wenig später durch
einen speziellen Seiteneingang. Unser Zimmer im siebten Stock erreichen wir nur per Treppe, da wir den Fahrstuhl nicht benützen dürfen. Im Hotel wurde eine komplette Etage nur für bayrische Exilanten reserviert.

Ein Mitarbeiter erklärt uns, dass wir nicht unter Quarantäne stehen, aber
in fünf Tagen einen weiteren PCR Test am Empfang machen müssen. Außerdem mögen wir doch bitte täglich am Frühstücksbuffet einen Antikörper Schnelltest machen, und die Ergebnisse beim Zimmermädchen abgeben. Wir sind froh zu hören, dass wir das Hotel verlassen dürfen.
So können wir wenigstens unsere „neue Heimat“ erkunden.

Hier geht es weiter zu Teil 3.